Liebe, Werbung und Ehe im Skandinavien der Wikinger Teil 4

Eine Rekonstruktion der Eheschließungs-Zeremonie

Beim Versuch einer Rekonstruktion der Einzelheiten einer Wikingerhochzeit wird der Nachforschende von der Fülle des zur Verfügung stehenden Materials fast erschlagen. Die Sagen sind voll von verheirateten Paaren, auch wird der Auflösung von ehelichen Verbindungen breiter Raum gewidmet; die Gesetze beschreiben sorgfältig die Details eines Ehevertrags - doch selten erzählt uns eine Sage mehr als einige wenige Einzelheiten zum Verlauf des Hochzeitsfestes selbst. Auch die Mythologie hilft uns bezüglich der Fakten nicht sehr viel weiter, doch schafft sie einen Hintergrund für Mutmaßungen. Bei der Rückschau auf die Vielzahl von Informationen zum Gesamtkomplex der Ehebräuche der Wikinger bleibt die Frage, warum gerade bezüglich des Festes selbst nur so wenig aufgezeichnet wurde. Darauf gibt es mehrere Antworten.

Zunächst einmal hatte das Christentum zum Zeitpunkt der schriftlichen Niederlegung der Sagen bereits viele der älteren heidnischen Praktiken ersetzt. Damit einhergehend sollte man sich bewußt machen, daß das Christentum von allen heidnischen Aspekten am inbrünstigsten an der Ausmerzung jener interessiert war, die mit der Verehrung von Fruchtbarkeitsgottheiten zu tun hatten. Zu diesem Zweck vernichtete man Tempel und damit in Verbindung stehende künstlerische Darstellungen und verfolgte sogar die bloße Nennung all jener Götter, die mit Liebe, Sex und Ehe in Zusammenhang standen. Sogar wenn die heidnischen Wikinger über eine der ihrer christlichen Nachfolger ähnliche Technik zur Wiedergabe schriftlicher Informationen verfügt hätten, wären bestimmte Details der Zeremonie selbst nicht aufgeschrieben worden, da sie von den als "ghodi" oder "gydhia" bezeichneten Priestern und Priesterinnen auf die ausschließlich mündliche Weitergabe beschränkt wurden. Dies sorgte dafür, daß geheime Rituale nicht entweiht werden konnten, da sie auf diese Weise nur für die in ihre Religion Initiierten zugänglich waren. Sogar der öffentliche Teil eines solchen Rituals wurde nur selten aufgezeichnet, da diese ein so weit verbreitetes, alltägliches Wissen darstellten, daß die Autoren der Eddas und Sagen die Vertrautheit der Leserschaft mit denselben voraussetzten und eine nähere Beschreibung von daher nicht für wichtig hielten.

Wenn man also nun diese Lücken im Sinne einer brauchbaren Rekonstruktion der Hochzeitszeremonie der Wikinger schließen will, muß man sich der Folklore, den Ritualen anderer, mit diesen in Verbindung stehender germanischer Völker sowie den von Anthropologen und Ethnographen auf der Grundlage des modernen Menschen erstellten Strukturen bedienen. Wenn man die Eheschließung als einen Passageritus definiert, welcher den Übergang eines bis dahin lediglich erwachsenen Menschen zum Teil einer reproduktiven sozialen Einheit vollzieht, begeben sich bereits einige Teile des Puzzles an ihren Platz. Ein Passageritus beinhaltet bestimmte Standardmerkmale:
  1. Die Separation des Individuums von der umgebenden sozialen Gemeinschaft
  2. Zerstörung des oder Entlassung aus der bisherigen sozialen Identität des Individuums
  3. Herstellung einer neuen sozialen Identität mittels Unterricht und/oder Ritual
  4. Reintegration des Neuinitiierten in die umgebende soziale Gemeinschaft
Anhand der Informationsfragmente, über die wir bezüglich der Hochzeitsbräuche der Wikinger verfügen, können all diese Merkmale identifiziert werden.

A. Festsetzung eines Hochzeitstermins

Im Norden war der traditionelle Tag für eine Hochzeitszeremonie der der Göttin Frigga geheiligte Freitag. Darüber hinaus war der Termin wohl klimaabhängig, da die Anreise für die Gäste, Zeugen sowie die Familien der Braut und des Bräutigams während der Wintermonate schwierig, wenn nicht sogar unmöglich gewesen sein dürfte. Die Feier zog sich häufig über Wochen hin, so daß ein reichhaltiges Angebot an Nahrungsmitteln zur Verfügung stehen mußte. Dies legt einen Zeitpunkt in Erntenähe nahe. Den gesetzlichen Richtlinien für eine Hochzeit zufolge war es obligatorisch, daß das Paar gemeinsam vom sogenannten "Brautbier" trank - üblicherweise war dies Met (im Original "ale", was im Englischen eine ganze Reihe von gegorenen Getränken und nicht nur das uns geläufige Bier bezeichnet, Anm. d. Übers.) - was bedeutet, daß zur Herstellung desselben Honig zur Verfügung stehen mußte, und zwar in einer Menge, die es dem Paar erlaubte, noch den ganzen der Eheschließung folgenden Monat davon zu trinken (der Honey-moon"). Wenn man all diese Fakten zusammen nimmt, erscheint als häufigster Hochzeitstermin der Zeitraum zwischen Sommerende und dem frühest möglichen Einbruch des Winters als wahrscheinlich.

B. Vorbereitung der Zeremonie

Wenn wir weiterhin dem Modell des Passageritus folgen, ist anzunehmen, daß sowohl Braut als auch Bräutigam vor dem eigentlichen Ritus ihre bisherigen Rollen als unverheiratete Erwachsene aufgaben und auf ihre neuen als Ehemann und Ehefrau vorbereitet wurden. Unter Umständen war dieser Übergang für die Frau von viel größerer Bedeutung als für ihren zukünftigen Ehepartner, da er hier nicht nur den Schritt von der Frau zur Gattin, sondern in vielen Fällen auch von der Jungfrau zur Mutter umfaßte.

1. Die Braut


Die Braut wurde vor ihrem Hochzeitszeremoniell möglicherweise von weiblichen Begleitern mit Beschlag belegt - dies dürften ihre Mutter, andere verheiratete Frauen und vielleicht auch eine Gydhia gewesen sein - welche ihre Vorbereitung überwachten. Um ein sichtbares Zeichen für den Verlust der Rolle als Jungfrau zu setzen, wurde die Braut eventuell ausgezogen und all ihrer Jungfräulichkeitssymbole entledigt - ein solches wäre zum Beispiel der "kransen", ein von Frauen edler Geburt im aufgesteckten Haar getragener Goldring, welcher als Kennzeichen der Jungfräulichkeit diente. Der "kransen" wurde ihr wohl feierlich von ihren Begleiterinnen aus dem Haar genommen und dann sorgfältig eingewickelt und bis zum Zeitpunkt, an welchem die Braut eine Tochter zur Welt bringen würde, aufbewahrt.

Der nächste Schritt der Brautvorbereitungen bestand im Besuch eines Badehauses - dem skandinavischen Äquivalent der finnischen Sauna - in welchem sich ein mit Wasser gefüllter Holzzuber, Seife und ein Dampfraum befanden. Heiße Steine wurden mit Wasser besprengt, um Dampf zu erzeugen, in welchem die Badenden schwelgten und sich mit Bündeln dünner Birkenzweige schlugen, um so das Schwitzen anzuregen. Der Symbolismus des Dampfbades diente sowohl dem Zweck, den jungfräulichen Status der Braut "hinwegzuwaschen" als auch der Reinigung der Frau vor dem am nächsten Tag folgenden Ritual. Während sie also so im Badehaus "schmorten", wurde die Braut von ihren Begleiterinnen bezüglich der Pflichten einer Ehefrau instruiert. Auch erhielt sie Erläuterungen zu den religiösen Bräuchen, welche von der verheirateten Frau zu befolgen seien, zudem Ratschläge bezüglich des Zusammenlebens mit einem Mann und so weiter.

Die Inhalte dieses Unterrichts entstammen vielleicht teilweise der Zwergenweisheit, wie sie zum Beispiel in einigen Strophen des Sigdrifumals erhalten geblieben ist. Hier wird magisches Wissen, welches für eine Hausfrau notwendig ist, gestreift; zudem werden Wege aufgezeigt, wie eine Frau ihrem Ehemann zu raten und ihn zu führen habe. Der letzte Teil des Dampfbades - das Eintauchen in kaltes Wasser, welches den Badenden abkühlt und die Poren der Haut schließt - vollendete die Reinigung. Diesem Wasser wurden anläßlich einer Hochzeitsvorbereitung wohl auch spezielle Kräuter, Blüten und Öle zugesetzt, welche es nicht nur angenehm duften ließen, sondern den Reinigungsritus auch auf magische Weise verstärkten. Man vermutet, daß hier vornehmlich aphrodisische Kräuter und solche, die mit einer Steigerung der weiblichen Fruchtbarkeit auf magischem Wege in Verbindung gebracht wurden, Verwendung fanden.

Das Haar der Braut ließ man ausgebreitet: Die Hochzeitszeremonie und das anschließende Fest waren die letzten Male, wo sie es ungebunden und unbedeckt tragen durfte. Anstelle des "kransen" der Jungfräulichkeit trug die Braut nun wohl eine Brautkrone, welche ein Erbstück der Familie war und ausschließlich während eines Hochzeitsfestes getragen wurde. In einem modernen Roman findet sich die Beschreibung einer Hochzeitskrone, welche aus Silber gefertigt ist und Verzierungen in Form von Schnüren zeigt, die abwechselnd mit in Bergkristall eingebetteten Kreuzen oder Kleeblättern enden und von roten sowie grünen Seidenbändern umwunden ist. Auch wenn keine der mir bekannten Quellen den Gebrauch einer Hochzeitskrone in der heidnischen Periode der Wikinger bestätigt, wurde sie jedoch im mittelalterlichen Skandinavien getragen. Auch ist das hohe Alter dieses Brauches weiterhin über die kontinentalgermanische Tradition des Festes der heiligen Lucia verbürgt, an welchem ein Mädchen, welches die Stelle der "Lichterbraut" einnimmt, eine mit brennenden Kerzen verzierte Krone trägt.

2. Der Bräutigam


Wie die Braut dürfte sich auch der Bräutigam den verschiedenen Merkmalen eines Passageritus unterzogen haben, so auch der Isolierung von der restlichen Gemeinschaft sowie dem Abwerfen der bisherigen Rolle in derselben. Seine Begleiter waren wohl sein Vater, verheiratete Brüder sowie andere verheiratete Männer und eventuell ein Godhi. Da Männer kein sichtbares Zeichen ihres Junggesellenstatus trugen, wurden sie desselben auf andere Weise entledigt, als dies bei der Braut der Fall war. Man erwartete von Bräutigam, daß er sich ein Schwert verschaffte, welches von einem verstorbenen Ahnen stammte und in der Hochzeitszeremonie zur Anwendung kommen sollte. Es gibt eine ganze Reihe von Sagen, die von Grabraub erzählen, welcher den Gewinn des Schwertes eines verstorbenen Vorfahren zum Ziel hat. Dieses Schwert wurde dann einem Sohn der Familie übergeben, und Hilda Ellis-Davidson hat Beweise dafür gefunden, daß diese Schwerter bei der Hochzeit eine wichtige Funktion besaßen. Dies würde in der Tat ein machtvolles Ritual der Separation des Mannes von seiner Gemeinschaft sowie der Ablösung von seiner Junggesellenschaft darstellen, welches den Abstieg in ein Grab mit anschließendem Heraufholen des Schwertes als Symbol für den Tod des Junggesellen und die Geburt des Bräutigams beinhaltet hätte. Wenn kein entsprechendes Grab zur Verfügung stand, wurde das Ahnenschwert eventuell von den Verwandten in einem zu diesem Zweck errichteten Scheinhügel verborgen. Dies hätte die Möglichkeit geschaffen, den Bräutigam mit einem als Geist des Ahnen ("aptrgangr") verkleideten Mann zu konfrontieren, welcher die Instruktionen für den jungen Mann um Informationen bezüglich seiner Familiengeschichte, seiner Ahnenlinie, der Bedeutung der Traditionen sowie der Fortführung seiner Blutlinie ergänzte. Es kann aber auch sein, daß der Bräutigam das Ahnenschwert aus der Hand eines lebenden Verwandten nach erfolgter Belehrung über seine Familiengeschichte erhielt: In diesem Punkt sind die Sagen nicht eindeutig, und der rituelle Raub des Schwertes aus einem Grab wird zwar angeführt, aber nie eindeutig mit einer Hochzeit in Verbindung gebracht.

Unabhängig davon, wie der Bräutigam nun an sein Schwert gelangte, hat er nach seiner zukünftigen Braut dann ebenfalls das Badehaus besucht, um dort seinen Junggesellenstatus symbolisch fortzuwaschen und sich für die Eheschließungszeremonie zu reinigen. Die Anweisungen, die er dort bezüglich seiner neuen Aufgaben als Ehemann und Vater von seinen Begleitern erhielt, stammten wohl teilweise aus Quellen wie dem Havamal, welches junge Männer bezüglich der Behandlung ihrer Frauen berät und nicht nur vor deren wankelmütigem Wesen warnt, sondern ebenso Anweisungen zur Gewinnung der Liebe einer Frau enthält und dazu, wie man sich ein angenehmes Leben mit ihr schafft und erhält. Nach dem Bad wurde der Bräutigam wahrscheinlich für die Hochzeit angekleidet. Auch zu seiner Kleidung existieren keine Aufzeichnungen, obwohl anzunehmen ist, daß er sein Schwert trug und wohl auch mit den Zeichen des Thor - Hammer und Axt - versehen war, welche seine Herrschaft in der nun zu bildenden Vereinigung symbolisierten und eine fruchtbare Ehe sicherstellen sollten.

C. Die Hochzeitszeremonie

Nach Abschluß aller Vorbereitungen wurde der Schauplatz des eigentlichen Hochzeitsrituals hergerichtet, und zwar an einem Friggas-Tag, also einem Freitag. Die erste offizielle Handlung war wahrscheinlich eher geschäftlicher Natur und dürfte im Austausch von Mitgift und mundr vor Zeugen bestanden haben. Nachdem dieser Punkt erledigt war, konnte die religiöse Zeremonie beginnen. Auch wenn die Familien über kleinere Tempel verfügt haben dürften, wird die Zeremonie im Freien stattgefunden haben; entweder im offenen Feld oder in einem kleinen Wäldchen, genannt "ve", welches als heilig betrachtet wurde. Für das offene Feld spräche nicht nur die bessere Sicht der Gäste auf Brautpaar und Zeugen, sondern auch der Umstand, daß ein solcher Ort für die rituelle Anrufung der Gottheiten von Fruchtbarkeit und Ehe besser geeignet scheint. Die Braut wurde von einem jungen Mann aus ihrer Verwandtschaft zum gewählten Ort begleitet, der ihr vorausging und ein Schwert trug, welches sie ihrem zukünftigen Ehemann als Hochzeitsgeschenk übergeben sollte.

Der erste Teil des religiösen Rituals war von Anrufungen und eventuell auch Opfern gekennzeichnet, welche die Aufmerksamkeit der Götter und Göttinnen auf die Zeremonie richten sollten. Wenn man ein Opfer abhielt, wurde höchstwahrscheinlich ein Tier geschlachtet, das in Verbindung zu den Fruchtbarkeitsgöttern stand: Hierbei kann es sich um eine Ziege für Thor, eine Sau für Freya oder einen Eber bzw. ein Pferd für Freyr gehandelt haben.

Es ist auch möglich, daß ein solches Tier nicht getötet, sondern im lebendigen Zustand den Göttern geweiht und danach als heiliges Tier weiter erhalten wurde. Das Tieropfer wurde vom Godhi oder der Ghydhia durchgeführt, welche die Kehle des Tieres aufschlitzen und sein Blut in einer eigens zu diesem Zweck gefertigten Schale auffingen (moderne Ásatrú benutzen im allgemeinen Met anstelle eines lebenden Opfers). Das Fleisch des geopferten Tieres wurde später als Teil des Festmahles zubereitet. Dann wurde die Schale mit dem Blut auf den aus angehäuften Steinen bestehenden Altar oder "horgr" gestellt und ein Bündel von Tannenzweigen hineingetaucht. Mit diesem Zweigbündel (dem "hlaut-teinn") besprenkelte man dann das Hochzeitspaar sowie die anwesenden Gäste, um auf diese Weise den Segen der Götter auf sie herabzuziehen (eventuell tat man dies, indem man den hlaut-teinn" in Form des Hammerzeichens schwenkte; einer sachten, kurzen Abwärtsbewegung, gefolgt von einer schnellen von links nach rechts. Mit dieser Geste hätte man jede vor dem sie ausführenden stehende Person erreicht. Aus eigener Erfahrung finde ich es immer wieder erstaunlich, wieviel Flüssigkeit so ein kleines Tannenzweigbündel aufnehmen kann. Wenn man dies richtig tut, wird jeder der versammelten Menschen von einer ganz kleinen Flüssigkeitsmenge benetzt).

Als nächstes hat der Bräutigam seiner Braut wahrscheinlich das Ahnenschwert vorgelegt, welches er gerade für sich erlangt hatte. Es war die Aufgabe der Braut, dieses Schwert für ihren Sohn in Verwahrung zu nehmen, so wie es schon bei den früheren germanischen Stämmen von Tacitus beschrieben wird: "Sie erhält etwas, das sie einmal unversehrt und unvermindert an ihre Kinder zu übergeben hat und das dann eines Tages die Frauen ihrer Söhne wiederum an deren Kinder weiterreichen." Dann gab die Braut ihrem zukünftigen Ehemann das Schwert, welches sie ihrerseits mit zur Zeremonie gebracht hatte. Dieser Geschenkaustausch versinnbildlichte das heilige Band der Vereinigung, welches somit durch "mystische Riten der Gunst aller Ehegottheiten sicher sein konnte." Das Ahnenschwert zeigte die Traditionen der Familie sowie die Weiterführung der Blutlinie an, während das von der Braut überreichte den Übergang der väterlichen Macht des Schutzes und der Führung der Braut auf den Bräutigam symbolisierte.

Dem Austausch der Schwerter folgte der Tausch der Ringe. Diese Ringe mögen eine Erinnerung an die Armringe in den Tempeln gewesen sein, auf welche Eide abgelegt wurden. Weiterhin wurden diese Ringe vielleicht zum Hochzeitsschwur geweiht, indem man sie auf den Altar in die Mitte des geheiligten Armringes legte, um auf das Konzept der Verbindung zwischen dem ungebrochenen Kreis des Ringes und der unzerstörbaren Natur des Eides hinzuweisen. Man übergab den Ring der Braut auf dem Griff des neuen Schwertes; auch der Bräutigam erhielt den seinen auf diese Weise. Diese Verbindung von Schwert und Ring betont die Heiligkeit des Vertrages zwischen Mann und Frau sowie die bindende Natur des gemeinsam abgelegten Eides, "so daß das Schwert eine Drohung nicht nur für die Frau, sondern für beide darstellt, wenn der Eid gebrochen werden sollte." (Ellis-Davidson).

D. Das Hochzeitsfest

Nach dem Abschluß der Eheschließungszeremonie begann das "brudh-hlaup" oder "Brautrennen", welches auch in Verbindung mit dem "brudhgumareid", dem Ritt des Bräutigams" gestanden haben dürfte. In der christlichen Zeit wurde dies in Form von getrennten, würdevollen Prozessionen zur Festhalle ausgeführt, auch wenn die Bezeichnung "Brautrennen" eher darauf hinweist, daß diese Prozession zu heidnischer Zeit einem tatsächlichen Wettrennen entsprach, wie dies in einigen Teilen des ländlichen Skandinaviens noch heute der Fall ist. Diejenige Gruppe, welche zuletzt in der Halle ankam, hatte die andere während der folgenden Festnacht mit Bier zu versorgen. Nach Ankunft der Braut an der Tür zur Halle wurde ihr der Eintritt in dieselbe vom Bräutigam mittels des nackten, über die Schwelle gelegten Schwertes verwehrt. Dies ermöglichte ihm, seine Frau selbst in die Halle zu geleiten und so zu vermeiden, daß sie über die Schwelle stolpern konnte. Im Gegensatz zu modernen Häusern hatten die des Mittelalters oft einen erhöhten Rand am Boden in der Türöffnung, um niedrige, kalte Luftzüge dort zu stoppen. Um eine Tür zu durchschreiten, mußte man über diese Erhebung steigen. In der ganzen heidnischen Welt gab es Formen des Aberglaubens bezüglich der ersten Überschreitung einer solchen Schwelle durch die junge Ehefrau, da eine Türöffnung als Portal zwischen den Welten angesehen wurde. Dieser eine Schritt wurde als ihr buchstäblicher Übergang vom Leben als Jungfrau zu dem einer Ehefrau gedeutet. Man ging davon aus, daß sich verschiedene Geister stets um eine Tür herum aufhalten; auch gibt es im heidnischen Skandinavien Hinweise, die darauf hindeuten, daß die Schwelle eines Hauses die tatsächliche Grabstätte seines Gründers darstellte, der auf diese Weise schädliche Einflüsse von der Haustür fernhielt. So war es von großer Bedeutung, daß die Braut beim Passieren der Tür keineswegs zu Fall kam, da dies als extrem schlechtes Zeichen gewertet wurde.

In der Halle angelangt, stürzte der Bräutigam sein Schwert in den Dachbalken oder einen Stützpfeiler des Hauses, um "das Glück der Ehe anhand der Tiefe des Schnittes zu prüfen" (Ellis-Davidson). Diese Tradition steht mit dem "barnstokkr" oder dem Ahnenbaum der Familie in Verbindung, einem "Kinderbaum", welcher von den Frauen der Familie "zum Zeitpunkt ihrer Niederkunft umklammert wurde" (Ellis-Davidson). Darüber hinaus demonstrierte diese Probe die Manneskraft des Bräutigams, da das Glück der Familie in engem Zusammenhang zu den aus der Verbindung hervorgehenden Kindern stand.

Nach dieser Einleitung begann das Feiern. Der wichtigste Teil dieses Festes war das zeremonielle Trinken des Brautbieres, welches ein weiteres Element der "Gragas" darstellt, deren Durchführung notwendig war, um die Ehe rechtsgültig zu machen. Hier übernahm die Braut erstmals ihre vornehmste Pflicht als Hausfrau, nämlich das zeremonielle Darreichen der Getränke. Vielleicht hat sie ihrem Mann den Met in einem "kasa" gereicht, einem rundlichen Gefäß mit Henkeln an jeder Seite in Form eines Tier- oder Vogelkopfes mit Schwanz. Eine Variante dieses "kasa" wird noch heute als "Liebeskelch" bezeichnet. Während sie ihrem Mann den Metkelch reichte, mag die Braut einige Verse gesprochen haben, die dem Trinkenden Gesundheit und Stärke bringen sollten.

Ein solcher Vers ist im Sigdrifumal aufgezeichnet:

Das Ale bringe ich dir, du Eiche des Kampfes, / gemischt mit Stärke und glänzendster Ehre; / versehen ist's mit magischen und mächtigen Gesängen, / mit anmutigen Zaubern und wunschmächtigen Runen.

Nach der Entgegennahme des Kelches weihte der Bräutigam diesen vielleicht Thor, indem er das Hammerzeichen darüber schlug. Auch ist es möglich, daß er einen Toast auf Odin aussprach, bevor einen Schluck nahm und den Kelch dann an seine Frau weiterreichte, die nach einem Toast auf Freya ebenfalls daraus trank. Durch diesen gemeinsamen Trunk wurden Braut und Bräutigam vor den Augen der Götter sowie im Sinne der Gesetze zu einer Einheit und bestätigten damit ihre neue Verwandtschaft symbolisch. Eventuell waren unter den Met ein oder zwei Tropfen des Opferblutes vom Morgen gemischt; auch dies sollte die Verwandtschaft zwischen Braut und Bräutigam herstellen. Diesen gemeinsamen Mettrunk behielt das Paar für die nächsten vier Wochen bei, da sowohl der im Getränk enthaltene Honig als auch die diesen produzierenden Bienen im heidnischen Skandinavien mit Fruchtbarkeit und Heilung in Verbindung gebracht wurden.

Nachdem das Paar nebeneinander Platz genommen hatte, wurde dessen Fruchtbarkeit ein weiteres Mal mittels einer Weihe durch Thors Hammer beschworen. Diese Weihe wurde vom Ehemann oder dem godhi ausgeführt; man legte den Hammer in den Schoß der Frau und segnete auf diese Weise ihre Empfängnis- und Gebärorgane.

Dazu wurde Frigga - die Göttin der Geburt - auf rituelle Weise angerufen, wie im Thrymskvidha" beschrieben:

Bringt den Hammer, der die Braut segnen soll: / In den Schoß der Jungfrau legt Mjölnir; / In Freyas Namen sei diese Hochzeit geweiht!

Nach dieser Zeremonie begannen Feiern und allgemeine Belustigung bis zum Ende der Woche. Für die Unterhaltung der Gäste wurde mit Tänzen, Ringkämpfen und gutmütigen Beschimpfungswettkämpfen (flytings") gesorgt; einige Gäste erzählten "lygisogur", welche für diese Gelegenheit extra geschaffene Lügengeschichten waren, oder man erzählte die Geschichte berühmter Menschen, Romanzen und übernatürlicher Wesen in ausgewählten Versen, die sich meist um das Thema der Hochzeit drehten.

Die Heirat ist das wichtigste Ereignis in der Gemeinschaft der Wikinger, in der die Bande des Blutes stärker sind als alle anderen Verpflichtungen. Die Frau, die bei den Wikingern in hohem Ansehen steht, bringt außer der Mitgift auch die Macht und die einflussreichen Ver­bindungen ihrer eigenen Sippe in die Ehe ein. Daher wird der Entschluss zu heiraten den jungen Leuten nicht frei überlassen; die Eltern handeln die Bedingungen untereinander aus. Ob die künftigen Eheleute sich lie­ben, ist dabei zweitrangig. Die Hochzeitszeremonie selbst ist recht einfach: In Anwesenheit aller Mitglieder bei der Sippen wird die Eheschließung durch einen Schlag mit dem Hammer ­ ein Symbol des Gottes Thor - vollzogen. Das anschlie­ßende Hochzeitsfest dauert dafür um so länger: Bier und Met fließen reichlich. Die junge Ehefrau verlässt ihre eigene Familie und wird in die Sippe ihres Mannes aufgenommen. Sie behält jedoch ihren Familiennamen und die Clanzuge­hörigkeit. Als Herrin des Hauses trägt sie an ihrem Gürtel sämtliche Schlüssel, auch den der Schatztruhe. Zu ihren Pflichten gehört es, den Haushalt gut zu füh­ren und eine möglichst große Zahl kräftiger Kinder zu gebären und großzuziehen. Für die reicheren Wikinger war es übrigens durchaus üblich, mehrere Frauen gleichzeitig zu haben. Von König Harald "Schönhaar" erzählt man sich sogar, er habe neun Ehefrauen gehabt! Aber auch die Frau hat ihre Rechte. So kann sie zum Beispiel die Scheidung einreichen und behält in diesem Fall ihr Vermögen; das gilt auch dann, wenn sie Witwe wird. Daher geschieht es häufig, dass ein anderes Mit­glied der Sippe ihres verstorbenen Mannes, zum Beispiel sein Bruder, um ihre Hand anhält - damit das Geld in der Familie bleibt. Die künftigen Eheleute treten vor den Dorfältesten; er hält mit beiden Händen das Schwert, auf das sie das Ehegelübde leisten werden. Die Braut hat ihren schönsten Schmuck angelegt, darunter eine Halskette und eine Gürtelschnalle, die mit Edel­steinen besetzt sind. Der Bräutigam trägt ein prächtiges Schwert, das in einer bronzeverzierten Lederscheide steckt.

Frauen wurden bei den Wikingern schon früh verheiratet. Ein isländisches Gesetz legte das Mindestal­ter bei der Heirat bei Mädchen auf 12 Jahre fest, was vermuten lässt, dass vorher auch jüngere Mädchen ver­heiratet wurden. Sippenverhältnisse spielten eine große Rolle und der Bräutigam musste eine gewisse Sum­me Geldes an den Brautvater zahlen. Ebenso musste er auch nachweisen, dass er die Ehefrau ernähren konnte.

Nicht selten wurden durch das Verheiraten von Töchtern einer einflussreichen Sippe mit den Söhnen einer anderen Familie mächtige regionale Bündnisse geschlos­sen. Dadurch konnte man beim Thing mehr Stimmen gewinnen, denn die Familien waren nun einander ver­pflichtet. Frauenkleidung ist bei den Wikingern nicht weniger aufwendig gefertigt als Männerkleidung, was den ge­sellschaftlichen Status der Frau unterstreicht. Die Fer­tigung solcher Bekleidung war neben der Organisation des häuslichen Lebens und der Zubereitung der Mahl­zeiten die Hauptaufgabe der Frauen.

Hierbei waren vom Spinnen des Fadens über Färben und Weben alle Textiltechniken bekannt und wurden im eigenen Haus durch­geführt. Eine geübte Spinnerein brauchte etwa 10 Stunden, um das Garn für eine Tunika herzustellen, womit auch wohl feststeht, womit Frauen ihren Tag verbrachten.

Verheiratete Frauen trugen ihr Haar unter einem Kopftuch, während unverheiratete es offen trugen.

E. Die Hochzeitsnacht

Die nächste gesetzliche Anforderung für die rechtliche Anerkennung einer Ehe bestand darin, Braut und Bräutigam vor Zeugen gemeinsam ins Bett zu legen, und zwar bei "Licht". Die Bedeutung dieses Gesetzes ist in diesem Punkt unklar; man weiß heute nicht, ob das Zubettbringen noch bei Tageslicht stattzufinden hatte oder als Fackelzug vor sich ging. Der Sinn bestand jedoch darin, daß die sechs Zeugen sowohl Braut als auch Bräutigam eindeutig zu identifizieren in der Lage waren, um die Legitimität der Ehe auch später einmal ohne Zweifel bestätigen zu können. Wenn man annimmt, daß diesem Moment ein langer, von Zeremonien und Feierlichkeiten ausgefüllter Tag vorausging, erscheint es logisch, daß es sich um einen Fackelzug gehandelt haben mag. Vor der Ankunft des Bräutigams wurde die Braut von ihren Begleiterinnen zu Bett gebracht. Das Bett wie auch die Nachtkleidung der Braut waren wohl mit "golgubber" geschmückt; hierbei handelte es sich um Fruchtbarkeitssymbole in Form kleiner Goldplatten, auf welchen einander umarmende Figuren abgebildet waren (möglicherweise eine Darstellung der Vereinigung Freyrs mit der Riesin Gerd). Dann könnte der Bräutigam als Symbol ihrer sexuellen Vereinigung seiner Frau in Anwesenheit der Zeugen die Brautkrone aus dem Haar genommen haben - eine rituelle Defloration also, welche zu einem früheren historischen Zeitpunkt jedoch durchaus tatsächlich vor Zeugen durchgeführt worden sein könnte. Nachdem die Zeugen das Paar verlassen hatten - was in Anbetracht ländlicher Hochzeitsbräuche wohl unter großer, lästernder Ausgelassenheit vonstatten ging - war die Eheschließung vollendet. Die Träume der Braut in dieser ersten Nacht wurden am nächsten Tag genau aufgezeichnet, da man aus ihnen Vorhersagen bezüglich der Zahl der Kinder, die sie zur Welt bringen würde, des Eheglücks und des Schicksals ihrer Nachkommen ableitete.

F. Die Morgengabe

Am nächsten Morgen trennte man das Paar wieder für kurze Zeit. Die Braut wurde von ihren Begleiterinnen angekleidet und zu diesem Zeitpunkt erstmals mit der hochgebundenen oder bedeckten Frisur der verheirateten Frau ausgestattet. Nun durfte sie auch das allgemein in der skandinavischen Welt vertretene Symbol der Ehefrau tragen: das "hustrulinet", ein langes, schneeweißes, fein-plissiertes Leintuch. Wahrscheinlich existierten verschiedene Varianten dieses Kopfschmucks. Man trifft oft auf Rekonstruktionen desselben, die jedoch eine falsche Vorstellung davon vermitteln, da sie ein starres, gebundenes Ding zeigen. Das "hustrulinet" war wohl ein zusammengestecktes Tuch, welches mittels eines gewebten und mit Metall- und Brokatfäden ornamentisch bestickten Bandes, das man um die Stirn wand, gehalten wurde.

Es gibt archäologische Hinweise auf eine Kapuze oder lange Seidenhaube, die ebenfalls anstelle des "hustrulinet" getragen werden konnte, und in einigen weiblichen Grabstätten fand man fünfzehn bis zwanzig Zentimeter lange Nadeln, die entlang beider Seiten des Kopfes lagen und ein schleierartiges "hustrulinet" oder ein dem oben erwähnten ähnliches Tuch an den Zöpfen der Frau festgehalten haben könnten. Die Kopfbedeckung galt als ein Zeichen des neuen Status der Frau sowie der Ehre, die dieser mit sich brachte und unterschied sie im Haushalt von den Dienern und Konkubinen. Es gibt da die Debatte, inwiefern der Brauch des "hustrulinet" nicht erst im zehnten Jahrhundert von den Christen eingeführt worden sei, da die Zahl der Kopfbedeckungen ab diesem Zeitpunkt bei den Grabfunden deutlich zunimmt; dennoch gibt es Funde, die auf das neunte Jahrhundert oder noch früher datierbar sind.

Nachdem die junge Frau wie eine Ehefrau gekleidet worden war, begleitete man sie in die Halle, um dort den letzten Anforderungen an eine rechtmäßige Eheschließung gerecht zu werden. Der Ehemann zahlte seiner Frau vor den Augen der Zeugen die Morgengabe und gab damit zu verstehen, daß die Hochzeit nun vollzogen sei. Gleichzeitig übergab er ihr die Schlüssel seines Hauses, welche ihre neue Vollmacht als Herrin desselben symbolisierten.


ENDE  TEIL 4

© Text: von Gunnora Hallakarva, Übersetzung: Vicky Gabriel